Roth: Aufarbeitung ist Bedingung für unsere Demokratie

NS-Vergangenheit deutscher Behörden

Im Rahmen eines Forschungsprogramms haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Umgang deutscher Ministerien und Behörden mit der NS-Vergangenheit untersucht. Auf einer Tagung präsentierten sie jetzt ihre Ergebnisse, die Brüche, aber auch NS-Kontinuitäten in Verwaltung und Politik aufdecken. Gefördert hat das Programm die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Palais Schaumburg in Bonn

Palais Schaumburg: Bis 1976 Sitz des Bundeskanzleramts, dessen Entwicklung nach der NS-Zeit ebenfalls Gegenstand einer Studie ist.

Quelle: picture alliance/ DUMONT Bildarchiv, Jörg Axel Fischer

In den vergangenen Jahren hat eine ganze Reihe deutscher Ministerien und Bundesbehörden die eigene NS-Vergangenheit von unabhängigen Historikern untersuchen lassen. Lange Zeit vernachlässigt wurde dabei ein ressortübergreifender Forschungsansatz, der größere Zusammenhänge jenseits des Rasters von Behörden, Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen in den Blick nimmt. Dies stellte auch eine Studie fest, die 2016 zum Stand der NS-Aufarbeitung zentraler Behörden im Auftrag der Beauftragten für Kultur und Medien erstellt wurde. 

Neuer ressortübergreifender Ansatz

Die Beauftragte für Kultur und Medien lobte 2017 deshalb das Forschungsprogramm „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus“ aus, in dessen Rahmen zehn Projekte gefördert wurden.

„Es ging dabei um unabhängige Projekte, nicht um innerbehördliche Forschungsaufträge – das war gut und richtig, auch, um der Befürchtung einer reinen „Haus- und Hofberichterstattung“ entgegen zu treten“, erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth gestern auf der Abschlusstagung die Intentionen des Programms.

Das Forschungsprogramm Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus wurde mit 4 Millionen Euro aus dem Haushalt der Kulturstaatsministerin gefördert. Verantwortlich für die Koordinierung der zehn Projekte war das Bundesarchiv, das zusammen mit dem Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) auch Gastgeber der Abschlusstagung am 25. und 26 Oktober 2022 war.

Auf der zweitägigen Konferenz in Berlin wurden die Ergebnisse der inzwischen weitgehend abgeschlossenen Projekte vorgestellt. Sie untersuchen anhand institutionsübergreifender Fragestellungen die Entwicklung ausgewählter staatlicher Institutionen von der Adenauer-Ära bis – zum Teil – in die 1980er Jahre, unter ihnen das Bundeskanzler- und das Bundespresseamt sowie mehrere Länderjustizverwaltungen. 

Fragen nach personellen und strukturellen Kontinuitäten

Im Mittelpunkt standen dabei die Organisationsgeschichte und Verwaltungskultur, die Personalpolitik und die Demokratievorstellungen der Behörden. Konkret wurden im Rahmen der Projekte zum Beispiel Fragen nach der Einstellungspraxis gestellt: Wie viele durch ihre Funktion in der NS-Diktatur belastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten oder wollten die Ministerien, Bundes- und Landesbehörden einstellen? Wie wurde der vielschichtige und oft auf formale Parteimitgliedschaft reduzierte Begriff der „Belastung“ in den politischen Auseinandersetzungen eingesetzt? Wie verschoben sich die Grenzen, die in Bezug auf NS-Belastungen gezogen wurden? 

„Ausgeschrieben war das Programm, um größere Zusammenhänge und verdeckte Strukturen aufzuzeigen, um die behördenübergreifend braune Prägung der jungen BRD greifbar zu machen – in politischen Entscheidungsstrukturen und auch in der kommunikativen Praxis“, betonte die Kulturstaatsministerin.

Voraussetzung für Kampf gegen Rechtsextremismus

Ohne das Erinnern an die Verbrechen der NS-Zeit und ihre Vorbereitung in nationalsozialistischen Behörden, wäre die Demokratisierung Deutschlands, wäre eine demokratische Bundesrepublik Deutschland gescheitert, ist Roth überzeugt. 

„Die Demokratie braucht die Konfrontation mit der Vergangenheit, nicht nur mit der NS-Vergangenheit, sondern auch mit ihrer eigenen.“ Die Erinnerung an die Verbrechen des Dritten Reiches und die Aufklärung darüber seien die besten Voraussetzungen für den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus in der Gegenwart, für die Auseinandersetzung mit den Demokratieverächtern und den Rechtsstaatsfeinden – und damit eine notwendige Bedingung für unsere Demokratie, erklärte Roth.