In einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nimmt Staatsministerin Roth Stellung zum European Media Freedom Act der EU und zu den Verhandlungen von Bund und Ländern in Brüssel. „Ich bin überzeugt, mit unserer Methode der föderalen Zusammenarbeit und unseren inhaltlichen Anliegen haben wir dazu beigetragen, dass uns ein Europäisches Medienfreiheitsgesetz gelingen kann“, so Roth.
Es sei dringlich, „dass wir auch innerhalb der Europäischen Union der Erosion von Medienfreiheit und -vielfalt entgegentreten“, so Kulturstaatsministerin Roth.
Selbst in unserem gemeinsamen Europa ist es leider keine Selbstverständlichkeit mehr, dass freie und unabhängige Medien Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie sind. Nur eine vielfältige Medienlandschaft ist immun gegen zu machtvolle Meinungen einzelner, nur wirklich freie Medien ermöglichen und fördern eine umfassend informierte und engagierte Gesellschaft mit einer selbstbestimmten Willensbildung und Teilhabe an demokratischen Prozessen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Versuche der Destabilisierung und Meinungsmanipulation haben uns die zentrale Rolle freier und unabhängiger Medien einmal mehr drastisch vor Augen geführt. Schon seit einiger Zeit erleben wir gezielte Attacken auf unsere demokratischen Institutionen, den Verlust der gegenseitigen Achtung im öffentlichen Diskurs und eine Verrohung der Debatten. Die zunehmende Anzahl von Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten hat sich auch hierzulande deutlich gesteigert und sie schlägt sich in einem Abstieg um gleich fünf Plätze auf den 21. Platz für Deutschland im weltweiten Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen nieder. Umso mehr müssen wir unsere auch weltweit geschätzte freie und vielfältige Medienlandschaft schützen und dafür sowohl die globale Diskussion führen, wie ich das während der deutschen G7 mit dem ersten Medienministerinnen und -ministerrat getan habe, als auch auf die drängenden europäischen Fragen eine Antwort finden. Denn wie Medienfreiheit und Medienvielfalt in Europa insgesamt unter Druck geraten, das zeigen aktuelle Studien wie der Media Pluralismus Monitor (MPM) des European University Institutes.
Deshalb ist es dringlich, dass wir auch innerhalb der Europäischen Union der Erosion von Medienfreiheit und -vielfalt entgegengetreten. Um die Medien als Pfeiler unseres europäischen Demokratiemodells wirksamer als bisher zu schützen und zu fördern, hat die Europäische Kommission den Entwurf eines Medienfreiheitsgesetzes vorgelegt und damit regulatorisches Neuland betreten. Denn wir wissen, dass Medienpolitik zuvorderst Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten selbst ist - und in Deutschland völlig zu Recht ein Kernstück der Kompetenz der Länder. Eine wirksame Sicherung der Meinungspluralität und Medienvielfalt erfordert daher das zielgerichtete und abgestimmte Zusammenwirken von Bund und Ländern - und das gemeinsame Vorgehen in Europa. Bund und Länder haben daher gemeinsam intensiv in Brüssel verhandelt, um mit dem European Media Freedom Act (EMFA) einen Fortschritt für die Medienfreiheit in der gesamten EU zu erreichen, ohne aber das hohe Schutzniveau des deutschen Mediensystems zu beschädigen. In Deutschland funktioniert das sorgsam austarierte System der Medienregulierung gut. Insbesondere das staatsferne, dezentrale Modell der regulierten Selbstregulierung gibt den notwendigen Rahmen vor und sorgt zugleich für die notwendige Freiheit im besonders grundrechtssensiblen Bereich der Medien. Wir sehen aber auch, dass dieses Modell nur dort funktioniert, wo weitere demokratische Grundpfeiler funktionieren, wie etwa eine unabhängige Justiz. Das Rechtsstaatsniveau ist in den europäischen Mitgliedstaaten aber unterschiedlich. Der Verzicht auf eine Harmonisierung in zentralen, für die Vielfalt und Unabhängigkeit von Medien besonders wichtigen Bereichen würde daher zwar das deutsche System unangetastet lassen – nur zu welchem, hohen Preis?
Es besorgt mich sehr, wenn ich höre, dass Regierungsmitglieder eines anderen EU-Mitgliedstaates die Übernahme einer Verlagsgruppe mit 20 Regionalzeitungen, 300 Wochentiteln und 500 Internetportalen “als beste Nachricht des Jahres“ kommentieren. Erfolgt diese Übernahme noch durch einen staatlichen Ölkonzern, ist Untätigkeit für mich keine Option. Wir können nicht zusehen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in manchen Mitgliedsstaaten für Regierungsreklame oder Schlimmeres missbraucht wird. Wir müssen etwas tun, wenn staatliche Werbe- und Fördermittel nur an Günstlinge im Gegenzug für genehme Berichterstattung ausgeschüttet werden. Die besorgniserregenden Vorgänge rund um Twitter und seinen neuen Eigentümer zeigen, wie wichtig es ist, dass legale Inhalte der Medien im Internet nicht einfach unter Hinweis auf das Hausrecht der großen Plattformen gelöscht werden können.
Während in Deutschland unabhängige Gremien die Intendanzen unserer Rundfunkanstalten wählen, suchen sich in manchen Teilen Europas die Regierungen ihnen genehmes Redaktionspersonal aus. Solche medienpolitischen Defizite unserer europäischen Partner haben auch direkte Auswirkungen für uns, da damit das gemeinsame europäische Demokratiemodell gefährlich ausgehöhlt wird.
Das Europäische Medienfreiheitsgesetz ist dabei der konsequente nächste Schritt der europäischen Ebene moderner Gesetzgebung. Mit der Audiovisuellen-Mediendienste-Richtlinie haben wir die Mediennutzung des Fernsehzeitalters an die digitalen Gegebenheiten angepasst. Mit dem Digital-Services Act haben wir die Pionierleistung der Plattformregulierung, das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, in vielen Teilen nach Europa exportiert und mit dem Digital Markets Act haben wir den Rahmen für die momentane Marktrealität (der großen Plattformen) geschaffen. Diesen Rechtsrahmen soll nun das Europäische Medienfreiheitsgesetz ergänzen und die Rahmenbedingungen für freie Medien innerhalb der Binnenmarktkompetenz auch europäisch mitgestalten.
Dass wir in unseren Verhandlungen in Brüssel zahlreiche Verbesserungen für das Austarieren zwischen der nationalen und einer neuen europäischen Medienrechtssetzung im Entwurf erreicht haben, ist Beleg dafür, dass es in der Regel besser ist, durchaus kritisch aber konstruktiv mit am Verhandlungstisch zu sitzen, als sich durch voreilige Ablehnung komplett aus diesem Prozess zu verabschieden. Einem Mitgliedstaat, der von Beginn an deutlich macht, einem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen, müssen in Verhandlungen keine Kompromisse angeboten werden, wenn die erforderlichen Mehrheiten auch ohne ihn zustande kommen.
Da der EMFA mit qualifizierter Mehrheit in Brüssel verabschiedet wird, kommt es auf die deutsche Stimme nicht zwingend an. Aus dieser Ausgangssituation heraus haben wir gemeinsam mit den Ländern viel erreicht. Der EMFA ist dadurch deutlich besser geworden. In allen Punkten, die im März dieses Jahres von den Ländern mit einem Bundesrats-Beschluss zum EMFA deutlich kritisiert wurden, haben wir durch konstruktives Verhandeln gemeinsam mit den Ländern wichtige Verbesserungen erzielen können. So soll nun etwa das vorgesehene Aufsichtsgremium („Board“) von der Europäischen Kommission konsequent unabhängig sein. Ein anderes Beispiel ist die ausdrücklich geregelte Mindestharmonisierung. Das Europäische Medienfreiheitsgesetz ist als Verordnung vorgesehen, würde also direkt in jedem Mitgliedstaat geltendes Recht sein. Um funktionierende Medienordnungen nicht zu beschädigen, haben sich Bund und Länder in Brüssel gemeinsam für möglichst viel Mindestharmonisierung im EMFAeingesetzt. So bleibt ein Mehr an Medienpluralismus und -freiheit auf der nationalen Ebene stets möglich. Zugleich werden nun auch wichtige Standards in der EU verpflichtend, so würde etwa der für die journalistische Arbeit unerlässliche Quellenschutz durch den EMFA europaweit verankert. Recherchen im europäischen Verbund, wie etwa zu den Panamapapers, werden dann europäisch geschützt. Weil die entsprechende Vorschrift jedoch mindestharmonisiert ist, bleiben die bewährten deutschen Regelungen unangetastet.
Wir wissen aber auch, dass weitere Verbesserungen wünschenswert sind, zum Beispiel beim Verhältnis des journalistischen Quellenschutzes zur nationalen Sicherheit. Die bisherige Regelung - und darum haben wir sie auch unterstützt - erlaubte es der schwedischen Präsidentschaft, einen weitreichenderen Vorschlag zur nationalen Sicherheit auf der Ebene der Mitgliedsstaaten zu verhindern. In den Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission wird es hier nun um eine weitere Verbesserung gehen.
Ein besonders wichtiger Erfolg der deutschen Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt ist schließlich der gefundene Kompromiss zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn es wurde klargestellt, dass europäische Vorgaben nun zwar für das Verfahren gelten, wie eine auskömmliche Finanzierung festgestellt wird, nicht aber für ihre grundsätzliche Höhe. Wir sichern so den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Finanzierung und Unabhängigkeit, wollen aber keine „Super-KEF“ auf europäischer Ebene. Wenn es dabei auch nach dem Trilog bleibt, wäre das ein wichtiges Signal an alle Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk genießt weiterhin für seine Finanzierung eine Ausnahme von den Beihilferegelungen des EU-Wettbewerbsrechts; dieses besondere Privileg nach dem Protokoll zum Vertrag von Amsterdam stellt aber auch zu Recht Anforderungen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll gerade nicht „Spielball“ nationaler Regierungen werden können. Wenn auch nicht mit Blick auf Deutschland aber auf die EU als Ganzes sind die vorgesehenen Regelungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk deshalb umso wichtiger.
Ich bin überzeugt, mit unserer Methode der föderalen Zusammenarbeit und unseren inhaltlichen Anliegen haben wir dazu beigetragen, dass uns ein Europäisches Medienfreiheitsgesetz gelingen kann. Daran wollen wir weiter arbeiten - damit die Freiheit und Vielfalt von Medien in ganz Europa nachhaltig gestärkt werden kann.