Anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas unterstrich Kulturstaatsministerin Roth zur Eröffnung des Internationalen Roma-Filmfestivals die Bedeutung der Stimmen von Zeitzeugen für unsere Erinnerungskultur. „Denn ohne Gespräch stirbt die Erinnerung“, erklärte sie.
- Es gilt das gesprochene Wort.-
Als Zilli Schmidt, über deren Tod ich sehr traurig bin, 1950 in meiner Heimatstadt Augsburg einen Antrag auf Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts beim Bayerischen Landesentschädigungsamt stellte, zog das ein jahrelanges Verfahren nach sich. Denn „rassische Gründe“, befand das Bayerische Landeskriminalamt im Sommer 1955, fünf Jahre später (!), hätten bei der Festnahme Zilli Schmidts ja „kaum unterstellt werden können“ (Zitat Ende). Das begangene Unrecht von Zilli Schmidt war vielmehr, dass sie eine Sinteza war. Und „Zigeuner“, wie man sie damals nannte, galten nicht nur als Verbrecher, das Wort war ein Synonym für Verbrecher. Und genau so hatten es die NS-Beamten, die Zilli abgeholt hatten, auch zu Protokoll gegeben: „Straftat: Zigeunerin“ – steht auf der Erkennungskarte der Kriminalpolizeileitstelle.
In Schleswig-Holstein wurde der Antiziganismus 1946 verboten. Auf Anweisung der britischen Militärregierung verfügte der Chef der Polizei, Sinti und Roma dürften nicht aufgrund ihrer rassischen Zugehörigkeit durch besondere polizeiliche Kontrollen benachteiligt werden. Aber schon im August 1948 war es damit vorbei. Drei Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, nach dem Ende des Holocaust und des Porajmos – dem Völkermord an fünfhunderttausend Sinti und Roma – erging ein Erlass der schleswig-holsteinischen Landespolizeiverwaltung zur „Bekämpfung des Zigeunerwesens“. Den Polizeibeamten wurde befohlen, „auf die Zigeuner ihr besonderes Augenmerk zu richten und festgestellte strafbare Handlungen unnachsichtig zur Anzeige zu bringen“. Zur Vorbeugung von Straftaten seien „namentlich die größeren Banden unter polizeilicher Kontrolle zu halten“. Damit wurde der Antiziganismus in Schleswig-Holstein auf dem Dienstweg wieder eingeführt. Einige Monate später, im Mai 1949 ist das Grundgesetz mit dem Versprechen in Kraft getreten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In diesem wunderbaren Satz kommt die Würde des Menschen, kommt der Mensch ohne Adjektiv aus. Es geht also nicht um den deutschen, den männlichen, den weißen, den christlichen oder den heterosexuellen Menschen – es geht um DEN Menschen. Sinti und Roma sind Menschen. Auf den Erlass der Landespolizeiverwaltung und – wie wir vermuten dürfen – auf die Praxis der Polizei hatte das keinen Einfluss. Das Grundgesetz bekämpft den Rassismus, also auch den Antiziganismus, aber besiegt hat es ihn bis heute nicht. Der Antiziganismus, er wächst, er beleidigt, er demütigt, er erniedrigt, er bedroht, er ist tödlich – wie in Hanau.
Und hätte es die einzigartige, wunderbare Zilli Schmidt nicht gegeben, wir wüssten heute noch sehr viel weniger über diesen anhaltenden Kampf, über ihre und unsere Geschichte. Und es ist Zilli gewesen, die auch mir so deutlich gemacht hat, dass der Kampf natürlich auch meine Aufgabe ist. Dass ich alles gegen Rassismus und Ausgrenzung tun muss, weil ich in einem Land leben will, wo jeder und jede sich frei und sicher fühlen kann, gleichberechtigt und wo niemand seine Identität verstecken muss.
Wir haben heute Vormittag das 10-jährige Bestehen des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas gefeiert. Es ist der zentrale Erinnerungsort für die Sinti und Roma in Deutschland und ganz Europa. Es ist der Erinnerungsort mit berührenden Beispielen, die der wunderbare und unvergessene Dani Karavan uns geschenkt hat. Und es ist das sichtbare Zeichen dafür, dass wir die Verbrechen an den Sinti und Roma nicht vergessen, nicht vergessen dürfen und wir den Opfern ein würdiges Andenken bewahren. Heute ist zu meiner großen Freude Zoni Weisz unter uns, den ich von ganzem Herzen willkommen heiße. Sie haben damals zur Einweihung des Denkmals eine beeindruckende Rede gehalten, das heißt, Sie haben von Ihrer Verfolgung erzählt, von dem Terror, den die Deutschen über die Sinti und Roma brachten und den nur wenige überlebten. Ich danke Ihnen, lieber Zoni Weisz, dass Sie heute wieder unter uns sind, und dafür, dass Sie die Kraft aufbringen, immer wieder sich selbst und uns den Schrecken in Erinnerung zu rufen. Zeitzeugen wie Sie sind unentbehrlich für die Erinnerungskultur, die mir, die uns so wichtig ist. Was wir tun müssen, ist ein Erinnern in die Zukunft. Heute haben drei junge Menschen gesprochen. Sie waren die Brücke in die Zukunft. Das fand ich ganz wichtig. Diese Erinnerungskultur muss sich fortentwickeln, denn die Stimmen der Zeitzeugen werden von Jahr zu Jahr weniger, irgendwann werden sie ganz verstummen. Umso wichtiger ist es, neue und innovative Ansätze des Erinnerns und Aufarbeitens zu entwickeln: Die hier präsentierten animierten Kurzfilme weisen in diese Richtung. Die Filme, die das 5. Internationale Roma Festivals AKE DIKHEA? präsentiert, widmen sich den Biographien verfolgter und ermordeter Sinti und Roma. Die Veranstaltung steht also im Zeichen des Jubiläums des Denkmals sowie des erinnerungskulturellen Umgangs mit der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma. Zwischen dem Denkmal und den hier präsentierten Filmen besteht eine beklemmende Verbindung. Der am Denkmal hörbare Geigenton des Komponisten Romeo Franz wurde eingespielt mit dem Instrument seines Großonkels Vinko Paul Franz. Er ist im Juli 1943 in Auschwitz ermordet worden. Vinko Franz‘ Biographie ist einer der Filme am heutigen Abend, die das Filmfestival eröffnen.
Ich danke allen, dass Sie heute Abend gekommen sind, zum Sehen, zum Hören, zum Fühlen, zum Mutmachen, zum Kraftschöpfen, zum Eintreten für unsere gemeinsame Demokratie und zum Gespräch. Denn ohne Gespräch stirbt die Erinnerung.