Mit einer Festveranstaltung im Gewandhaus ist die diesjährige Leipziger Buchmesse eröffnet worden. Dabei erhielt der belarussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Unter dem Motto „Worte bewegen Welten“ präsentieren sich vom 27. bis 30. März 2.040 Verlage und Aussteller aus 45 Ländern. Gastland ist in diesem Jahr Norwegen. „Die Literatur, die Macht des Buches war seit der Aufklärung ein zentrales Kulturgut, das Freiheit, Vielfalt und Selbstbestimmung der Menschen vorangebracht und ermöglicht hat. All das gilt es heute zu verteidigen. Und genau dafür steht die Leipziger Buchmesse“, betonte Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der Eröffnung.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth beim feierlichen Festakt zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse 2025.
- Es gilt das gesprochene Wort -
Es ist für mich eine ganz besondere Freude, Ehre, Privileg hier heute die Leipziger Buchmesse mit eröffnen zu können. Eine Buchmesse, die sehr lebendig ist – und wie sie lebt! Und dass ich dazu in meiner Amtszeit doch etwas beitragen konnte – das gehört zu den Dingen, auf die ich jetzt, wo meine Zeit als Kulturstaatsministerin zu Ende geht, gerne und schon ein bisschen stolz zurückblicke.
Diese Leipziger Buchmesse steht in besonderer Weise für etwas, das aus meiner Sicht für die Kulturpolitik insgesamt gelten sollte und für mich ein Leitmotiv ist und immer schon war: Eine große Vielfalt, mit der ein breites Publikum angesprochen wird, wo Literaturklassiker und wichtige literarische Neuerscheinungen genauso zu bekommen sind, wie spannende Graphic-Novels und die neusten Romantacy-Romane.
Es zeichnet die Leipziger Buchmesse aus, wirklich frühzeitig Trends zu erkennen, mit der Zeit zu gehen, sich für Neues zu öffnen. Dafür steht die Manga-Comic-Con, dafür steht das Forum Mensch & KI, dafür steht der Treffpunkt für Blogger:innen, der BL:OOM-Blogger_Room und das ist umso wichtiger in einer Zeit, in der Ewiggestrige wieder den Ton angeben wollen. Dieser Ansatz sollte eine Kulturpolitik insgesamt kennzeichnen: sie sollte weder auf eine edle Hochkultur elitär beschränkt werden noch im Sinne einer auch wie immer verstandenen Leitkultur verengt und begrenzt werden.
Und noch viel weniger sollte Kultur von Demokratiefeinden und Rechtsstaatsverächtern bedroht und unter Druck gesetzt werden, wie wir das auch in unserem Land schon viel zu oft erleben müssen. Sie darf kein Spielball sein für die kruden, nationalistischen und rassistischen Vorstellungen von rechtsextremen Kräften, die Buchhandlungen und Bibliotheken vorschreiben wollen, welche Bücher sie in ihrem Sortiment haben sollten – und welche nicht! Das dürfen wir nicht – und das werden wir nicht zulassen!
Die Literatur, die Macht des Buches war seit der Aufklärung ein zentrales Kulturgut, das Freiheit, Vielfalt und Selbstbestimmung der Menschen vorangebracht und ermöglicht hat. All das gilt es heute zu verteidigen. Und genau dafür steht die Leipziger Buchmesse.
Dafür braucht es auch eine Kulturpolitik, die die ganze Vielfalt unserer modernen Einwanderungsgesellschaft im Blick hat, diese anspricht und einbezieht. Und genau dafür steht ein kulturpolitisches Instrument wie der KulturPass für 18-Jährige, mit dem seit nun bald zwei Jahren junge Menschen den ganzen Reichtum unserer Kulturlandschaften erkunden können. Und erkundet haben sie damit vor allem auch 1,5 Millionen Bücher, diese stehen auf Platz 1 aller Kulturangebote. Und um diese Bücher zu bekommen, besuchten die jungen Menschen Buchläden vor Ort, kamen in den Dialog mit Buchhändler:innen. Und nicht nur das: der KulturPass wirkt als direkte Unterstützung der Buchbranche, mit ihm wurden fast 26 Millionen Euro umgesetzt. Und deswegen fordere ich die nächste Bundesregierung dringend auf: Halten Sie unbedingt am KulturPass fest!
Die Leipziger Buchmesse ist auch so bedeutsam, weil sie sich als Publikumsmesse ihr Medium, die Literatur, ihre Spielarten, ihre Ableger auf kongeniale Weise zunutze macht: Literatur stellt Nähe her, sie erzeugt Berührungen mit Menschen und mit Ideen. Und weil Nähe Reibung erzeugt, sind die Lesungen, Vorträge und Debatten wichtige Beiträge zu einem demokratischen Verständnis von Kultur, zu einer Kultur der Demokratie. Gerade in finsteren Zeiten, in denen unsere Demokratie von innen wie von außen bedroht wird, brauchen wir die Kraft der Kultur – sie ist der Sound unserer Demokratie. Und gerade jetzt muss die Kultur mit ausreichend Mitteln gestärkt werden! Gerade jetzt darf sie nicht den Kräften eines ungeregelten Marktes ausgeliefert werden und deshalb ist zum Beispiel auch die Beibehaltung der Buchpreisbindung von so zentraler Bedeutung!
Literatur aber kann noch mehr: Sie kann Entfernungen aufheben, räumliche wie zeitliche. Die Leipziger Buchmesse hat das – als Fenster zu unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa – immer getan und tut es auch in diesem Jahr.
„Europas Hunde“ ist der Titel des Romans von Alhierd Bacharevič, der hier heute hier mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung ausgezeichnet wird. Sein Buch steht für die Kraft der Literatur – aber auch dafür, wie diese bekämpft wird. Als „Europas Hunde“ 2017, also noch vor der größten Protestbewegung, die Belarus seit seiner Unabhängigkeit erlebte, erschien, war das Buch für renommierte Literaturpreise nominiert – auch in Belarus und auch in Russland. 2021 wurde es – Zitat – als „extremistisch“ verboten. Alhierd Bacharevič vermutet nicht zu Unrecht, ich zitiere Ihnen: „weil das Wort Europa schon im Titel des Buches auftaucht“. Europa steht für die Lukaschenkos und Putins für all das, was sie fürchten und bekämpfen: für Freiheit, für Demokratie und für Rechtstaatlichkeit.
Literatur aber, um die es hier geht, sagt Alhierd Bacharevič, ist immer ein Akt innerer Freiheit. Die Sehnsucht nach Freiheit begründet die existenzielle Notwendigkeit von Fiktion – umso mehr in einer Diktatur – als einer inneren Befreiung von äußerlichen Zwängen. Um diese Freiheit ist es derzeit nicht gut bestellt. Putins Russland bombardiert und zerstört tagtäglich seit über drei Jahren Kulturorte, Bibliotheken, Konzerthallen, Kinos, Druckereien, attackiert gezielt Kunst und Kultur in der Ukraine, die ihre Freiheit und Selbstbestimmung mit hohem Einsatz verteidigt.
Boualem Sansal, Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, wurde in Algerien ganz offenkundig rein aus politischen Gründen festgenommen. Im Windschatten von Donald Trump, der mit der Axt gegen die Institutionen und Regeln der altehrwürdigen amerikanischen Demokratie vorgeht, versuchen Autokraten jetzt weltweit, ihre Herrschaft zu zementieren. Und das müssen wir gerade in der Türkei erleben, wo der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, den ich im letzten Herbst noch in Istanbul getroffen habe, aus rein politischen Gründen verhaftet und seines Amtes enthoben wurde. Er wird übrigens im gleichen Gefängnis festgehalten wie mein guter Freund, wie der bedeutsame Kunstmäzen Osman Kavala, dessen Freilassung Deutschland und Europa schon seit über sieben Jahren fordern, weil er seit über sieben Jahren dort in Haft ist. Und trotz Demonstrationsverboten, trotz der Gefahr, verhaftet zu werden, gehen dagegen hunderttausende Menschen auf die Straßen in der Türkei. Ihnen möchte ich von hier aus, von diesem Forum der Freiheit unsere Solidarität als Europäer:innen, als Demokrat:innen zurufen. Wir stehen an Eurer Seite! Wir vergessen euch nicht, denn vergessen tötet.
In diesen Zeiten ist die ganz enge Zusammenarbeit und Verbindung zwischen kraftvollen Demokratien überlebenswichtig, innerhalb der Europäischen Union, und mit ihren engsten Partnern – ein besonders wertvoller und verlässlicher Partner ist Norwegen. Und ein ganz wunderbares Gastland in diesem Jahr für die Buchmesse.
Literatur aus Norwegen hat unsere europäische Kultur mitgeprägt und mitgestaltet. Sie zeigt, wie Literatur mit Konventionen brechen und Lebenslügen sowie überkommene Moralvorstellungen aufzeigen und überwinden kann. Wie es etwa Henrik Ibsen mit seinen Dramen getan hat. Und Krimis aus dem hohen Norden sind eine Legende, allein die von Jo Nesbø. Sie haben mich atemlose, schlaflose Nächte gekostet. Und der Mut, die Leser:innen mit sich und ihrer Gegenwart zu konfrontieren, dafür steht die norwegische Literatur auch heute. Zeitgenössische Autor:innen wie Vigdis Hjorth, Maja Lunde, Oliver Lovrenski, Linn Strømsborg, Nina Lykke und Matias Faldbakken bieten uns scharfsinnige Analysen der Gegenwart in Entwicklungsromanen, Fabeln, Satiren, Kurzprosa und Romanen, Lars Mytting schildert das Leben im Gudbrandstal vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre, Ingeborg Arvola erzählt eine mitreißende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund Nordnorwegens. Karl Ove Knausgård setzt sein monumentales Werk fort und ergründet die Entfesselung dunkler Mächte, Simon Stranger, Edvard Hoem, Tore Renberg und Trude Teige gewinnen Leser:innen mit historischen Romanen, die weit über die Grenzen Norwegens hinausführen. Diese und noch viel, viel mehr großartige Autorinnen und Autoren aus Norwegen können Sie hier in den nächsten Tagen für sich entdecken.
Ich zitiere: „Literatur verleiht unserem Schmerz Sinn“, das sagt Alhierd Bacharevič, „und dieser Sinn ist meine Hoffnung.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine sehr erfolgreiche Buchmesse, die Ihre Herzen, Ihre Gedanken öffnet. Ich wünsche Ihnen inspirierende Tage, die Hoffnung geben und für Zukunftsmut sorgen! Zukunftsmut jeden Tag Verantwortung zu übernehmen für unsere Demokratie, denn die Demokratie braucht Demokratinnen und Demokraten. Danke.