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Ausstellungseröffnung „Caspar David Friedrich. Unendliche Welten“ in der Alten Nationalgalerie

Thema: Rede

Freitag, 19. April 2024

„Caspar David Friedrich projizierte seine eigene, persönliche Empfindung auf die Leinwand, er war ein Ideenmaler – ein Sehnsuchtsmaler. Und diese Sehnsucht spüren wir auch heute, 250 Jahre später. Sie zieht uns in ihren Bann. Sie wird unsere Sehnsucht.“ Kulturstaatsministerin Claudia Roth würdigte in ihrer Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung „Caspar David Friedrich. Unendliche Welten“ in der Alten Nationalgalerie das Schaffen des Romantikers, dessen Jubiläum in diesem Jahr neben seiner Geburtsstadt Greifswald deutschlandweit mit einem Veranstaltungsprogramm gedacht wird.

Gehalten am:
18. April 2024

- Es gilt das gesprochene Wort -

Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht“. Dieser Satz stammt von Caspar David Friedrich. Er beschreibt seine mitreißende, seine eindrückliche Kunst und liefert gleichzeitig die Antwort auf die Frage, wieso sie auch heute noch so viele Menschen berührt - gerade heute so viele Menschen berührt.

Was macht diesen Ausnahmekünstler aus, worin liegt seine Faszination, wieso strömen 250 Jahre nach seiner Zeit Tausende in die Ausstellungen, nach Greifswald, nach Hamburg – und ab heute sicherlich auch nach Berlin?

Caspar David Friedrich war Romantiker, ein Maler der Sehnsucht, subtil, düster. Aber auch zart, sanft – die wilden Pferde auf den Wiesen vor Greifswald. Stille und Einsamkeit sind ihm nicht nur Sujets. Er lässt sie uns empfinden. Er schuf Bilder wie die Ikone „Mönch am Meer“ oder „das Eismeer“, das mich persönlich besonders fasziniert und aufwühlt. Ein Bild der Zerbrechlichkeit der Existenz, ein Endzeitbild. Es fasziniert mich, ebenso, wie die Epoche der Romantik mich und viele Menschen weltweit bis heute bewegt. Es ist eine Epoche, die uns Fragen stellt, die das Ich und sein Verhältnis zur Natur in den Mittelpunkt rücken. Leidenschaft, Gefühl, Sehnsucht – aber auch Einsamkeit, Verlassenheit, Melancholie sind die Merkmale dieser Epoche.

Caspar David Friedrich zog nicht etwa mit der Staffelei in die Natur und kopierte, was er vor sich sah. Er malte in einer dunklen Kammer, aus dem Gedächtnis. Er projizierte seine eigene, persönliche Empfindung auf die Leinwand, er war ein Ideenmaler – ein Sehnsuchtsmaler. Und diese Sehnsucht spüren wir auch heute, 250 Jahre später. Sie zieht uns in ihren Bann. Sie wird unsere Sehnsucht.

Es sind Krisen, Konflikte, Kriege, die unsere Zeit prägen. Sie machen uns dünnhäutig – und empfänglicher für seine Kunst. Was wir für unverbrüchlich und wahr gehalten haben, gerät ins Wanken, und wir erkennen in den Bildern Caspar David Friedrichs auch unsere Zeit. Das „erste Bild der Moderne“ wird sein Mönch am Meer genannt. Wie wahr.

Wenn ich Caspar David Friedrich sehe, spüre ich die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit der Natur, aber auch die eigene Verletzlichkeit. Er nimmt mich mit in seine Naturvisionen, er stellt uns in die Natur, in ein Verhältnis zu ihr, oft den einzelnen Menschen, den einsamen, den von uns abgewandten Wanderer in die Unendlichkeit der Natur. Damit ist er wohl aktueller denn je, denn er zeigt uns auch als Betrachter, Bezwinger, Beherrscher, wie den Wanderer über dem Nebelmeer, der mit selbstbewusster Geste einsam herabblickt auf das, was ihn umgibt. Wir erkennen unser kompliziertes, letztlich ruinöses Verhältnis zur Natur. Und damit auch die Notwendigkeit, sie nicht nur zu bewundern, sondern sie zu erhalten, um unser selbst willen.

„Er ist in Wirklichkeit unser Zeitgenosse und sieht die Welt bereits mit unseren Augen“, haben Sie, lieber Florian Illies, in Ihrer Rede in Greifswald gesagt. Heute erkennen wir ihn, den Zeitgenossen, der seiner Zeit so weit voraus war.

„Caspar David Friedrich, wer war das?“ Diese, für uns hier fast schon unerhörte Frage, stellte die Zeitschrift „Der Kunstwart“ im Jahr 1902. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, bezeichnet Max Hollein, der Direktor des Metropolitan Museums in New York, Caspar David Friedrich als „Deutschlands beliebtesten Maler“.

Ich bin wirklich froh, dass die Nationalgalerie Caspar David Friedrich in ihrer Jahrhundertausstellung 1906 so umfassend würdigte, ihm den Rahmen und den Raum gab, der dieses herausragenden Künstlers angemessen ist. Damit holte sie ihn nicht nur zurück aus dem Vergessen, sie machte ihn unvergessen und gleichzeitig weltberühmt.

Sie machte ihn so weltberühmt, dass sich in seinem Jubiläumsjahr nicht nur drei der wichtigsten Kunsteinrichtungen des Landes zusammentun – die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, die Hamburger Kunsthalle und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden –, sondern dass auch das Metropolitan Museum of Art in New York im nächsten Jahr eine große Friedrich-Retrospektive zeigen wird.

Auch Friedrichs Heimatstadt Greifswald feiert seinen 250. Geburtstag mit mehr als 200 Veranstaltungen, Ausstellungen und einem wirklich beeindruckenden Programm. Caspar David Friedrich – ganz bei sich.

Sie, lieber Herr Illies, bezeichneten die Kunst „als das Gegengift gegen die Zumutungen unserer Gegenwart“. Ich interpretiere diesen Satz nicht als Flucht aus der Zeit, sondern als Konzentration der Stille, die Kunst in uns erzeugen kann, besonders aber die von Caspar David Friedrich. Vielleicht ist es das, was auch der Titel Ihres Buches meint: den Zauber der Stille. Das Wunder beim Betrachten eines Bildes von Caspar David Friedrich ist diese Stille, die es in uns erzeugt. Keine ausgeräumte Leere, sondern eine Verdichtung, eine Konzentration. Man geht nicht fraglos daraus hervor, aber ruhiger und nicht zu Tode erschöpft, wie aus dem Lärm unserer Zeit.

Es ist eine unglaubliche Kraft, die von diesen Bildern ausgeht. Eine Kraft, die weit über ihre und unsere Zeit hinausgeht.

Ich danke allen, die diese Kooperation und diese Ausstellungen möglich gemacht haben. Ich danke Ihnen von Herzen für diese großartige Gelegenheit einer Wiederbegegnung mit Caspar David Friedrich.

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