- Es gilt das gesprochene Wort. -
Es freut mich sehr, dass wir dieses Vierteljahrhundert der Bundeskulturpolitik heute gemeinsam hier feiern können. 25 Jahre plus 1 ist ein schönes Alter – jedenfalls nach menschlichem Maß. Und welches andere Maß sollten wir anlegen an eine Institution, die den Ausdruck alles Menschlichen ja schon im Namen trägt.
Es ist die Kultur, die uns zu Menschen macht, ein seit Millionen Jahren andauernder Prozess der Selbstfindung, des Entdeckens, der Aneignung und der Kreativität. Es ist die Kultur, die uns Menschen auszeichnet, unsere Befähigung zu denken, zu fühlen und uns auszudrücken.
Ich bin überzeugt, dass alle, die in den vergangenen 25 plus 1 Jahren an dieser Stelle für dieses Amt und die Kultur gesprochen haben und auch die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BKM, die dafür gearbeitet haben, sich in dieser Frage einig sind. Und deshalb war und ist die Aufgabe, dieses Haus zu leiten, die Kultur zu fördern, zu ermöglichen, zu bewahren, zu stärken, zu beschützen – für mich persönlich, aber auch für meine Vorgängerinnen und Vorgänger – eine wirklich schöne und wirklich große Aufgabe.
Wir alle wollten und wir alle wollen für die Kultur arbeiten. Ich will es mit aller Begeisterung, für die ich berüchtigt bin, und mit aller Kraft, die wir dazu brauchen werden.
Denn Kultur ist kein Beiwerk, sie hat Bedeutung. Eben weil wir denken, sprechen und uns ausdrücken, in der Musik, in der Kunst, in der Literatur, im Spiel, ist Kultur eine Bedingung menschlicher Gesellschaft. Nicht als Kitt, der uns zusammenfügt, sondern als eine Kraft, die uns zusammenführt, als ein Ort der Begegnung mit anderen und mit uns selbst.
Diese Kraft gewinnt umso mehr Bedeutung, je weiter uns Krisen, Konflikte und Kriege auseinandertreiben, je mehr Raum Angst und Verunsicherung, Hass und Hetze gewinnen und die Orte der Begegnung, des Diskurses und der Verständigung schwinden lassen. Die Kraft der Kultur gewinnt Bedeutung in einer Zeit, in der die Demokratie in Frage gestellt wird.
Demokratie ist keine Bedingung von Kultur, doch sie schafft die Bedingungen, unter denen sich Kunst frei entfalten kann. Hier, in diesem Land, in unserem Land, sollten wir den Unterschied kennen, den die Demokratie macht. Sie gewährt dem Wort und den Künsten die größtmögliche Freiheit unter der Voraussetzung, einander sein zu lassen, die Würde von Menschen nicht zu verletzen, einander zuzuhören, anzuhören und zu respektieren und das Recht auf Widerspruch zu wahren. Ich könnte diese Bedingungen, die Codes of Conduct, einer Demokratie nennen. Tatsächlich sind es die Voraussetzungen eines menschlichen Miteinanders.
Ich habe in den vergangenen Monaten an vielen Orten erlebt, dass dieser Konsens des Miteinanders aufgekündigt, mindestens aber gefährdet ist. Wer andere ausgrenzt oder niederbrüllt, muss wissen, dass ihm die Freiheit, nach der er ja verlangt, von einem demokratischen Gemeinwesen garantiert wird, das auf die Bereitschaft zur Kompromissfindung angewiesen ist. Es ist nicht die Auseinandersetzung, die ich ablehne. Auch nicht die Schärfe, die sie haben kann. Wer Polarisierung scheut, sollte die Politik meiden. Die Bereitschaft aber, Gegensätze zu überwinden, ist der Mehrwert einer demokratischen Kultur. Wer diese Bereitschaft verweigert, arbeitet gegen die Demokratie.
Wir müssen die Demokratie bewahren. Es ist uns in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gelungen. Und deshalb sollten wir auch weniger abstrakt von den Errungenschaften einer Demokratie sprechen, sondern von den Anstrengungen und dem Erfolg von Demokratinnen und Demokraten – in Ost- und in Westdeutschland. Sie haben die Bundesrepublik Deutschland in den 75 Jahren nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zu einer stabilen Demokratie in Europa gemacht. Sie haben vor 35 Jahren das Ende der Teilung Deutschlands erstritten und sich die Demokratie erkämpft. Von uns, von uns Demokratinnen und Demokraten, wird es abhängen, ob wir die Geschichte dieses dritten, erfolgreichen Anlaufs, die Demokratie in Deutschland zu etablieren, fortschreiben werden.
Die Kultur wird dabei eine tragende Rolle spielen, denn sie sieht in der Herausforderung nicht nur die Anstrengung, sondern sie sieht vor allem auch den Gewinn. Gesellschaften verändern sich. Vielfalt durch Einwanderung ist eine Realität moderner Gesellschaften. Und Einwanderung ist auch in der Bundesrepublik keine Entwicklung in den letzten zehn Jahren, sie gehört seit langem zu unserer Geschichte. Leider ebenso, wie die sehr viel älteren Phänomene des Ressentiments und des Rassismus.
Darauf muss Kultur- und Medienpolitik reagieren. Uns darf es nicht nur darum gehen, Rassismus, Antisemitismus, jegliche Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu überwinden. Es muss uns darum gehen, Menschen zu gewinnen – für dieses Land und für diese Demokratie. Dass aus den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland wurden, hatten sie in der Regel sich selbst zu verdanken, nicht unserem Werben um sie. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis unser Land sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, dass es kein Zuwanderungs-, sondern ein Einwanderungsland ist. Diese Geschichte muss sich in unserer Kultur, auch in unserer Erinnerungskultur widerspiegeln. Die Menschen in unserem Land müssen sich in ihr wiederfinden. Das gilt für die Einwanderungsgeschichte ebenso wie für den wichtigen, großen Beitrag der Ostdeutschen zur Demokratiegeschichte unseres Landes. Kulturpolitik geht es nicht um akademische Fragen der Geschichtsschreibung. Es geht ihr um die Menschen, die die Geschichte dieses Landes geschrieben haben. Sie gehören zu unserem Land. Und sie sind Teil des Prozesses, den wir Kultur nennen.
Alle Überlegungen zur Erinnerungspolitik, dem Rahmenkonzept Erinnerungskultur, der Förderung der Gedenkstätten, der Aktualisierung der Gedenkstättenkonzeption und das Bemühen um die Restitution von NS-Raubgut folgen dabei einem Ziel: Sie wollen den Artikel 1 des Grundgesetzes, „die Würde des Menschen ist unantastbar“, mit Leben füllen: Wir wissen, welche Erfahrung die Mütter und Väter des Grundgesetzes geleitet hat, dieses Versprechen an den Anfang des Verfassungstextes zu stellen. Das Verbrechen der Shoah ist in diesen Artikel 1 eingeschrieben. Er stellt die Würde des Menschen unter den Schutz staatlicher Gewalt, weil wir wissen, dass nichts antastbarer, nichts fragiler ist als die Würde des Menschen, jedes Menschen.
Es ist ein schöner Satz, vielleicht der allerschönste Satz eines Verfassungstextes überhaupt. Doch über den Stolz auf diesen Satz vergessen wir zu oft die Trauer, die in ihm wohnt. Für Jüdinnen und Juden in unserem Land, in ihrem Land klingt in diesem Satz die Erinnerung an ihre Toten nach und auch der Schmerz. Dass sie unser Mitgefühl vermissen, sich nicht sicher, nicht aufgehoben fühlen in unserem Land, dass der Antisemitismus grassiert, muss uns alle schmerzen.
Erinnerungspolitik ist Kulturpolitik. Der Auftrag und die Verantwortung sind groß, und wir nehmen sie an. Doch auch das heißt, Menschen zu gewinnen. Erinnern und Gedenken sind keine Verwaltungsakte, sie richten sich an uns, an Menschen. Mit dem Erinnerungsort deutsche Kolonialverbrechen wird deshalb auch kein neues, sondern ein altes, noch viel zu wenig beachtetes Thema dazukommen. Dasselbe gilt für das Dokumentationszentrum Zweiter Weltkrieg und Deutsche Besetzungsherrschaft in Europa und für das Deutsch-Polnische Haus. Es ist uns wichtig, dieses Haus entstehen zu sehen. Wie wichtig es unseren polnischen Partnerinnen und Partnern ist, das haben wir spüren können bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen Anfang der Woche.
Ich bin froh, in drei Jahren unter grüner Führung mit der so wichtigen Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und mit der so wichtigen Reform der Filmförderung unseren Teil beizutragen – und ich kann sagen mit Erfolg, wie der Kraftakt der vergangenen Nacht gezeigt hat. Diese Einigung ist auch ein wichtiges Signal für unsere Feier heute: Kultur wird gestärkt - gerade jetzt. Kultur ist kein Luxus, den man sich nur in guten Zeiten leisten kann. Sie ist der Sound der Demokratie, und genau diesen Sound braucht es jetzt.
Wir wollten den Kulturbegriff erweitern und ich glaube, es ist uns gelungen. Eben weil Kultur eine integrative Kraft ist, sollte sie auch allen zugänglich sein, sollte auch abseits der Hochkultur gefördert und auch gefeiert werden. Und der KulturPass will genau das, er überlässt es den 18-Jährigen, ob sie sich Kants Metaphysik der Sitten oder ein Konzertticket für Feine Sahne Fischfilet kaufen wollen. Und der KulturPass ist ein Riesenerfolg. Vorhin wurde vom Buch gesprochen – es sind knapp eine Million Bücher in wenigen Monaten über den KulturPass reserviert worden. Also die Behauptung, junge Menschen wollen keine Bücher mehr lesen, ist falsch. Und sie bestellen sie nicht online, sondern sie gehen in den Buchladen – und genau das ist wichtig: diese Erfahrung mit einem Buchladen zu machen und sich in die Welt der Bücher hineinzubegeben. Auch die zu Anfang belächelte, dann beargwöhnte Kultur der Nachhaltigkeit ist ein riesengroßer Erfolg. Und die Nachfrage gibt uns recht.
Drei Kulturstaatsminister und zwei Kulturstaatsministerinnen – namentlich Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin, Christina Weiss, Bernd Neumann, Monika Grütters - haben die Grundlagen gelegt, großartige Projekte verwirklicht und Institutionen gegründet. Sie alle haben eine erfolgreiche Kulturpolitik für den Bund gemacht, und es ist schön, dass wir das heute gemeinsam feiern können.
Und später – so kurz vor 18 Uhr - erwartet uns der Fußball. Und das ist überhaupt kein Widerspruch zur Kultur. Wer Vielfalt erleben will und Spielkultur, wer Demokratie als Mannschaftssport versteht: Voilà! In der deutschen Fußballnationalmannschaft spielen unterschiedlichste Talente mit unterschiedlichen Voraussetzungen auf verschiedenen Positionen zusammen, bislang so, dass der Erfolg fast schon sicher ist! Ich glaube jedenfalls fest daran.